Für mich war es spannender als jeder Krimi, jedem der VIER eine Wurmkur-Tablette zu geben und zwar so, dass jeder nur eine frisst. Der Bericht ist unerwartet lang geworden. Falls es Ihnen angenehmer ist, ihn als pdf zu lesen, finden Sie hier die Datei.
Das Wurmkur-Abenteuer
Eine der ersten Herausforderungen, die DIE VIER und ich zu bewältigen hatten, war das Verabreichen bzw. die Einnahme einer Wurmkur. Anderthalb Wochen nach ihrer Ankunft fand ich Würmer im Hundekot. Nach der Eingewöhnungszeit wollte ich schön mit den Hunden arbeiten, eine Beziehung aufbauen, beidseitigen Respekt leben, DIE VIER beschützen, ihnen beweisen, dass es gut für sie ist, sich mir anzuvertrauen. Stattdessen diese fürchterliche notwendige Angelegenheit. Neben meinen Zielen und Empfindungen verfüge ich über eine gute Portion Realismus. Deshalb hatte ich mit Würmern gerechnet und schon am Tag der Ankunft das Gewicht genommen. Bei der Ankunft waren Fenya, Moby, Jeannot und Rika sowieso einzeln in Transportboxen. Da war es einfach und stressfrei, die Boxen zuerst mit den Hunden, später ohne Hunde auf eine Lasten-Waage zu stellen. Die Hunde haben nur leicht unterschiedliche Gewichte, so bekommt jeder die gleiche Tablette. Jetzt also erstmal das Verabreichen der Wurmkur. Die schöne Beziehungsarbeit muss warten.
Normalerweise ist es eine einfache Angelegenheit, einem Hund eine Entwurmungstablette zu verabreichen. Wichtig ist dabei, JEDEM Hund EINE Tablette zu geben. Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten. Für Menschen ist es aufgrund der körperlichen Überlegenheit ein Leichtes, einen Hund einzufangen, zu fixieren, einen vom anderen zu separieren oder anzuleinen. Dies scheidet für mich aus, so lange DIE VIER menschliche Nähe scheuen und ich noch nicht von ihnen anerkannte Rudelführerin bin und das Problem nur Würmer sind. Unter diesen Umständen habe ich mich dafür entschieden, zwar nicht körperlich übergriffig zu werden, aber räumliche Grenzüberschreitungen zu begehen, mit sanftem Druck und viel Zeit: die Wurmkur-Tabletten in Leckerlis verstecken und von den Hunden fressen lassen. Als Daria und Ravil noch so scheu waren, waren sie der jeweils einzige scheue Hund bei mir. Ich konnte die anderen Hunde unauffällig steuern und Daria bzw. Ravil das Tabletten-Leckerli hinwerfen. Aber jetzt habe ich vier scheue Hunde, die zusammenhalten. Tabletten-Leckerlis hinlegen: Dann würde vermutlich der erste Hund alle vier fressen und die anderen würden leer ausgehen. Also muss ich so nah herangehen, dass ich die Tabletten gezielt jedem Hund geben kann. Das sind natürlich räumliche und damit auch seelische Grenzüberschreitungen, weil ich in ihre gefühlte Schutzzone, in ihren sicheren Bereich eindringe. Nun könnte man sagen, das sei doch normal und deshalb völlig okay. Das macht doch jeder liebende Tierhalter mit seinem Tier. Ja, das macht fast jeder Tierhalter. Und ja, das machen vor allem die allermeisten tierliebenden Menschen mit ihren Tieren. Doch nur weil es normal ist, ist es aus meiner Sicht noch nicht automatisch akzeptabel. „Liebe macht blind“, heißt es so treffend. In meinen Beratungen erlebe ich es immer wieder. Je mehr ein Mensch sein Tier liebt, umso weniger sieht er hin, ob sein Tier die körperliche Nähe und die Berührungen genießt, duldet, mit innerem Widerstand erträgt oder ihnen auszuweichen versucht.
Also gehe ich am Montag, 22.11.2021, mit großer Aufmerksamkeit zu den VIEREN und probiere erstmal, was überhaupt möglich ist. Wer Angst hat, frisst nicht. Ich muss es schaffen, sehr nah an jeden einzelnen der Hunde heranzukommen, um die Tablette gezielt zu geben und auch um zu sehen, ob die Tablette geschluckt oder wieder ausgespuckt wird. Und das muss ich körpersprachlich so hinbekommen, dass sie angstfrei sind, damit sie fressen. Zum Glück mag ich Herausforderungen.
Um herauszufinden, wie DIE VIER überhaupt auf Leckerlis reagieren, teste ich erstmal nur mit Leckerlis, ohne Tabletten. Daria lehrte mich, vorsichtig zu sein. Sie holte mit ihrer riesigen Collie-Schäferhund-Schnauze die kleinsten Tabletten aus Leckerlis heraus bzw. spuckte sie wieder aus. Sobald sie eine Tablette entdeckt hatte, fraß sie wochenlang nichts Gleichartiges mehr, egal ob der Köder Käse, Würstchen, Leberwurst o.ä. war (Bei ihr klappte es am besten, wenn ich mit Hilfe der anderen Hunde Futterneid und Hütchen-Spieler-Techniken mischte.). Grundsituation: Wenn ich in den Auslauf gehe, sind maximal Fenya und Moby im sichtbaren Bereich. Jeannot und Rika sind grundsätzlich in einer der Hütten im Stall. Der erste Versuch ergibt: Gezielt vor jeden Hund werfen fällt aus, weil die Angst vor dem Flugobjekt größer ist als der Appetit. Allerdings zeigen die Nasen eine Weile später Interesse. Nächster Versuch: Ich bewege mich vorsichtig im Auslauf, lasse dabei Leckerlis aus lockerem Handgelenk fallen und setze mich in einigem Abstand hin. Fenya und Moby nehmen sich langsam ein einzelnes Stück und zerkauen es sehr gründlich, sowohl Frolic als auch Bockwurst-Scheiben. Sie fressen mehrere Stücke, aber nicht alle. In ihrem bisherigen Leben hatten DIE VIER immer ausreichend Trockenfutter zur freien Verfügung. Dadurch sind sie in Bezug auf Futter ruhig und gelassen – eigentlich wunderschön, doch hierfür unpraktisch. Damit sie die Tabletten ohne es zu merken aufnehmen, müssen sie vertrauensvoller (braucht viel Zeit) oder gieriger werden. Also entferne ich das Futter und biete alle paar Stunden Leckerlis an. Nach einem halben bis einem Tag stelle ich wieder Futter hin, damit sie sich einmal satt fressen können (Es juckt mir in den Fingern, an dieser Stelle die Einsatzmöglichkeiten und Nachteile von „Futter als Erziehungs- oder Überredungsmittel“ zu erläutern, aber dann werde ich ewig nicht fertig mit diesem Text.). Ich sitze viel im Auslauf, an verschiedenen Stellen und verringere nach und nach die Entfernung zwischen den Leckerlis und meinem Körper. Fenya und Moby lassen sich darauf ein, fressen aber noch zu vorsichtig. Wenn ihnen allgemein etwas zu unheimlich ist, bleiben sie ruhig auf Abstand. Wenn ich jedoch Leckerlis auf meiner Handfläche anbiete, wird Moby etwas nervös und Fenya sehr nervös. Es sieht aus, als ob Fenya etwas wiedererkennt bzw. eine negative Verknüpfung hat mit Leckerlis auf offener Menschenhand. Okay, dann lasse ich die Leckerlis eben fallen und meine Hand herunterbaumeln. Sofort wird sie ruhiger. Es passiert jedes Mal das gleiche. Moby kommt gar nicht so nah an mich heran. Fenya kommt nah heran, was mir aber nichts nützt. Beide holen sich immer nur ein Leckerli ab, gehen weg und fressen es etwa drei Meter von mir entfernt. Und immer wieder dieses vorsichtige Zerbeißen. Drei Tage schon und noch kein Erfolg in Sicht. Meine Hoffnung sinkt. Ich erhöhe den Druck über größeren Hunger. Mittwochmorgen haben sie das letzte Mal richtig gefressen. Am Donnerstag ist die noch ziemlich fremde Person hier, die die zweite Bezugsperson für DIE VIER werden soll. Neuer Mensch, neues Glück. In der Hoffnung, dass DIE VIER sich dieser Person mehr anvertrauen, gehe ich mit den Leckerlis einen Schritt weiter: In der Größe der Wurmkur-Tabletten zerbreche ich Frolic-Stückchen und stecke sie in die Bockwurst-Scheiben. Damit will ich sehen, wie die Hunde auf das Feste im Weichen reagieren. Außerdem ist es doppelt lecker. Ich übergebe die speziellen doppelt leckeren Leckerlis und ziehe mich zurück. Die neue Bezugsperson geht unvoreingenommen in den Auslauf, legt eine Leckerli-Reihe bis kurz vor ihren Sitzplatz und wartet. Fenya und Moby bleiben im Auslauf, fressen die abgelegten Leckerlis, die weit genug entfernt von der Person sind. Damit die Hunde mehr fressen, wirft sie Leckerlis dorthin, von wo Fenya und Moby die vorigen geholt hatten. Wie bei mir sind Fenya die Flugobjekte zu unheimlich, sie zieht sich in den Stall zurück. Moby zieht sich auch kurz zurück, kommt aber wieder. Er holt sich mehrmals ein Leckerli und frisst es. Das klingt eigentlich gut. Jedoch holt er sich jeweils ein Leckerli, geht damit wieder zu seinem sicheren Platz, pult den Mini-Frolic-Krümel heraus, frisst ihn auf und frisst danach die Bockwurst-Scheibe. Eine Tablette unauffällig in den Köder zu schmuggeln erscheint aussichtslos. Ich kapituliere.
Parallel dazu habe ich seit Montag auch im Stall versucht, Leckerlis zu geben. Wenn ich im Stall gewesen bin, ist Fenya fast immer im Auslauf gewesen. Moby hat manchmal vor der hinteren Hütte gelegen. Mal ist er liegen geblieben, mal rausgelaufen, wenn ich mich der hinteren Hütte genähert habe, wo Rika und Jeannot gewesen sind. Drinnen hat Moby die Leckerlis angesehen aber nicht genommen und nicht gefressen. Die Variante habe ich aufgegeben. Die Hundehütten sind nur unten etwa 20 cm hoch offen. Darüber hängt Auslegware wie ein Vorhang. Dadurch ist es auch im Winter in den Hütten warm und auch große alte steife Hunde können bequem ein- und ausgehen. Für die scheuen Hunde ist es meistens einfacher, wenn sie zwar unten durch den Spalt erkennen können, ob sich jemand nähert, aber gleichzeitig nicht zum Beispiel den riesigen Menschenkörper in seiner Größe zu sehen brauchen. Montag bis Donnerstagmorgen habe ich mehrmals Leckerlis auf meiner Hand hineingehalten oder vorne in die Hütte gelegt. Irgendeine Hundeschnauze hat nicht immer, aber ziemlich häufig die Leckerlis gefressen. In Bezug auf die Wurmkur-Tabletten nützt mir das leider nichts, so lange ich nicht weiß, ob Jeannot oder Rika oder Fenya (Manchmal ist sie auch in der Hütte gewesen.) gefressen hat. Aus der Hütte herausgekommen sind sie nicht, nicht mal mit der Schnauze, egal was ich mit den Leckerlis veranstaltet habe. Sie haben lieber aufs Leckerli verzichtet.
Donnerstagnachmittag gebe ich auf. Keine Idee mehr. Keine Hoffnung mehr. Mindestens eine halbe Stunde lang. Das ist bei mir immer so krass: Wenn ich auf einen Tiefpunkt zusteuere, kann dieser Weg lange dauern. Sobald ich am Tiefpunkt angekommen bin, geht es meistens blitzschnell: neuer Denkansatz, neue Ideen, neue Motivation, neue Energie, Durchbruch, Erfolg, fertig! In diesem konkreten Fall schnappe ich mir gegen Abend zwei Schrauben und einen Schraubendreher, gehe durch den Auslauf in den Stall zur hinteren Hundehütte, biege im Zeitlupentempo mit verdrehtem Körper (um möglichst wenig Angst auszulösen) die Auslegware hoch und schraube sie oben fest, damit der Eingang offen ist. Dann entferne ich mich und gebe den Hunden mehrere Stunden Zeit, sich an diesen angsteinflößenden Zustand zu gewöhnen. Sehr spät am Abend gehe ich mit Bockwurst, Frolic und Leberwurst in den Stall. Fenya und Moby sind im Auslauf. Die Wurmkur-Tabletten sind seit Montag einsatzbereit in meiner Jackentasche. DIE VIER haben seit anderthalb Tagen nichts gefressen, abgesehen von einigen Leckerlis. Rika und Jeannot sind nicht in eine andere Hütte gegangen, sondern sind in der hinteren, offenen Hütte. Ich bewege mich so wie die vorigen Male auch, mit den gleichen Schritten, der gleichen Drehung an der gleichen Stelle, der gleichen Art die Leckerlis abzustellen, setze mich auf den gleichen Hocker, diesmal allerdings direkt vor den Hütteneingang. Meine Beine versuche ich so zu verknoten, dass die Hunde trotzdem einen Fluchtweg haben. Mit Frolic und Bockwurst übe ich die gezielte Gabe. Die Tage zuvor fühlte ich häufig eine forschere Schnauze und seltener eine zurückhaltendere Schnauze. Jetzt kann ich es sehen: Die forschere Schnauze ist von Jeannot, dem scheuen Schlitzohr. Rika und Jeannot sitzen direkt zusammen. Mit einer leichten Richtungsänderung zeigt meine Hand, welchem Hund ich etwas geben möchte. Jeannot ist der Meinung, dass alles für ihn ist. Wenn meine Hand bei der Annäherung in Jeannots Richtung zeigt und seine Schnauze sich zu meiner Hand bewegt, öffne ich die Hand und er kann fressen. Wenn meine Hand bei der Annäherung in Rikas Richtung zeigt und sich seine Schnauze zu meiner Hand bewegt, mache ich eine feste, gespannte Faust, vielleicht eine halbe Sekunde lang. Dann bewege ich die Hand deutlicher zu Rika, locker und offen. Nach etwa drei Malen hat Jeannot verstanden, was ich meine. Später testet er ab und zu, ob ich konsequent bin. Schwieriger ist es für Rika, sich an meine Hand zu trauen, nachdem ich Jeannot die Spannung gezeigt habe. Aber wir bekommen das schnell hin – bis ich die Leberwurst ins Spiel bringe, da drängelt Jeannot wieder mehr. Ich stelle nochmal klar, dass ich bestimme, wer etwas bekommt. Meine Hoffnung wächst. Das gleiche mit Frolic-Stückchen in Leberwurst. Es klappt, die Hunde nehmen und schlucken. Mein Herz rast vor freudiger Aufregung. Ich konzentriere mich darauf, ruhig zu atmen. Dann wage ich den Schritt von der Übung zum Ernstfall. Ich verstecke zwei Tabletten in Leberwurst. Erst noch ein paarmal Frolic-Leberwurst, aber jetzt schneller, damit die Hunde gieriger werden. Dann Tablette in Jeannot, Tablette in Rika. Rika schmatzt und macht komische Schnauzenbewegungen. Schnell noch etliche Leckerlis hinterhergeschoben, damit die Tabletten auch wirklich heruntergeschluckt werden. 50 % geschafft! Vorsichtig lasse ich die Auslegware an der Hütte wieder herunterhängen. Extrem euphorisiert gehe ich mit meinen Vorräten in den Auslauf und verteile ein paar Leckerlis. Anderthalb Tage kein Futter hat sich bei Jeannot und Rika förderlich ausgewirkt. Bei Fenya erhöht es die Nervosität, bei Moby führt es (wie bei mir) zu schlechter Laune. Moby stürzt sich auf Fenya, es entsteht ein knurrendes, beißendes Knäuel. Ich beende die Beißerei mit dem legendären Knoop-Lübke-Brüller, atme aus, zeige Entspannung, sammle meine Sachen zusammen und gehe raus. Dann stelle ich eine große Menge Futter in den Stall und verabschiede mich ruhig und langsam von den Hunden. Meine unterschiedlichen Gefühle sind so krass und wollen unbedingt sofort raus. Nachts um halb eins finde ich keinen Gesprächspartner, also hopse ich mit Daisy über den Hof und beschließe, diese Erlebnisse irgendwann aufzuschreiben.
Zwei Hunde habe ich geschafft, aber zwei fehlen noch. Jeannot und Rika lasse ich in Ruhe. Während der letzten Tage habe ich ihnen sehr oft Angst gemacht. Inzwischen bekommen sie Angst, sobald ich den Auslauf betrete. Dann höre ich, unabhängig davon ob Fenya auch in der Hütte ist oder nicht, wie jeder versucht hinter den/ die anderen zu klettern, um nicht von mir gesehen und bedrängt zu werden. Freitag mache ich mit Fenya und Moby im Auslauf ohne große Hoffnung einfach stumpf weiter die Leckerli-Übungen. Mit vollem Bauch sind sie ruhiger. Samstag früh ist Moby im Auslauf, Fenya im Stall und Fenya bleibt merkwürdigerweise im Stall. Wahrscheinlich bin ich ihr zu nervig. Die Chance nutze ich! Moby sitzt neben/ hinter der Außen-Hütte, zwischen Hauswand und Hütte, so dass er sich geschützt fühlt und mich beobachten kann. Ich gehe ungefähr in die Mitte des Auslaufs, lege ein Paar Leckerlis hin und gehe zurück zu meinem Sitzplatz. Nichts passiert. Ich sammle die Leckerlis auf, gehe ein wenig näher zu Moby, lege dort die Leckerlis hin und gehe wieder zu meinem Sitzplatz. Moby bleibt unverändert sitzen, beobachtet sehr intensiv. Okay, er hat kein Leckerli genommen, aber ich bin froh, dass ihn meine Annäherung nicht verschreckt hat. Für Moby wäre es besser, ich würde die Leckerlis in einer Ecke, die ich von meinem Sitzplatz nicht einsehen kann, hinlegen. Dann kann ich jedoch nicht sehen, ob Moby die Tablette schluckt oder ausspuckt. Also versuche ich es weiter, sehr langsam, seitlich, selbstverständlich ohne Blickkontakt mit den wieder aufgesammelten Leckerlis noch näher heranzugehen, die Leckerlis wieder abzulegen, in einer Reihe. Jetzt liegen die Leckerlis so, dass Moby mit dem Körper zwischen Außenhütte und Hauswand bleiben kann und nur den Kopf vorzustrecken braucht. Es klappt, er frisst die Bockwurst-Scheiben. Jetzt das gleiche mit Leberwurst und Frolic-Krümel innen drin. Er frisst. Anscheinend hat er über die Tage sein Misstrauen abgebaut. Vor Freude und Spannung würde ich am liebsten hüpfen, stattdessen konzentriere ich mich auf ruhige Atmung und langsame Bewegungen. Jetzt die spannendste Reihe: von Moby zu mir zweimal Leberwurst mit Frolic, einmal Leberwurst mit Wurmkur-Tablette, einmal nur Leberwurst. Juhuu! Jetzt noch einmal langsam seitlich hingehen, um Leckerlis zum Nachfressen hinzulegen, damit die Tablette auch wirklich in den Magen gelangt. Puh! 75 % geschafft! Wenn ich an Fenya denke, bin ich wieder ratlos, habe keine Idee.
Samstagabend, spät, zeigt Fenya mir die Lösung. Im Auslauf ist niemand zu sehen. Im Stall liegt Moby vor der hinteren Hütte. In den anderen Hütten ist kein Hund. Also wird Fenya mit Rika und Jeannot in der vertrauten hinteren Hütte sein. Vorsichtig gehe ich näher heran, Moby geht nach draußen. Im Laufe dieser Tage ist meine Ausstattung in den Jackentaschen sehr umfangreich geworden. Langsam nehme ich die Schrauben und den Schraubendreher, sehr langsam bewege ich die Auslegware nach oben und befestige sie. Mehrmals einfach nur ausatmen, bis die drei in der Hütte sich räumlich neu sortiert haben. Dann bereite ich langsam meinen Platz vor der Hütte vor. Ich stelle den Klapphocker direkt davor, einen Stuhl als Ablage für die verschiedenen Leckerlis und die Tablette, lege alles griffbereit hin. Auf dem Hocker sitzend verknote ich meine Beine wieder so, dass die Hunde sehen, dass sie hinauslaufen können. Der Rest ist ein Kinderspiel. Mit drei Hunden ist es natürlich etwas umständlicher als vorher nur mit Rika und Jeannot. Jeder Hund soll gleich viel bekommen, damit kein Frust entsteht. Rikas Schnauze hält einen Abstand von mehreren Zentimetern. Jeannots und Fenyas Schnauzen sind nebeneinander, übereinander, hintereinander, beide direkt an meiner Hand. Mit Spannung und Entspannung in meiner Hand zeige ich, welches Verhalten ich möchte und welches nicht. Das weitere Vorgehen kennen Sie bereits. Einzig verändere ich nun, dass ich keine offene Handfläche zeige, damit Fenya nicht wieder so nervös wird (s. o.). Es klappt, 100 % geschafft! Danach bin ich weniger erfreut als vielmehr erleichtert.
Nach sechs Tagen hat jeder der VIER eine Wurmkur-Tablette eingenommen. Endlich, endlich, kann ich anfangen, die Beziehungen so aufzubauen, wie ich es möchte. Ohne sie zu bedrängen, ohne Grenzen zu überschreiten. Ich finde es immer schwierig, gute Entscheidungen zu treffen, wenn die körperlichen Bedürfnisse oder Notwendigkeiten den seelischen Bedürfnissen widersprechen. Während und nach den sechs Tagen der ständigen Grenzüberschreitungen sind DIE VIER ängstlich, wenn ich mich in der Nähe des Auslaufs oder des Stalls bewege. In der Hütte höre ich dann die Geräusche, die entstehen, wenn ein Hund hinter den anderen krabbelt, um möglichst weit weg von der Hüttenöffnung zu sein. Sonntag baue ich vorm Auslauf einiges für die nächste Phase, für die schöne Arbeit auf und lasse DIE VIER vollständig in Ruhe. Montag früh fallen mir die Geräusche zum letzten Mal auf. Jetzt kann ich mich auf das seelische Wohl und die Beziehungsarbeit konzentrieren.